LAURA J. UNDERWOOD
Der Handel
Dass ihr Moorterrier die Ohren spitzte, war für Ginny ebenso ein Indiz für nahenden Besuch wie der Hauch von Essenz, den ihre magischen Sinne meldeten. Aber dass der Besucher Freund, nicht Feind sei, sah sie daran, dass »Distel« jetzt auf seine kurzen Beine sprang, dass er sie fast umgeworfen hätte und freudig zur Tür raste. Dabei hatte sie gerade versucht, ihm die Kletten aus dem Rauhaarfell zu bürsten! Aber daran, dass er damit übersät war, war sie selber schuld – hatte sie ihn doch ausgeschickt, den Fuchs vom Hühnerhof fern zu halten. Hatte sie doch in den letzten Nächten an den verschlagenen Räuber schon zwei gute Legehennen verloren! Zum Glück war Distel wirklich gut dressiert und wäre, wenn sie ihn nicht zurückgerufen hätte, diesem Fuchs bis zum Hochland nachgejagt!
Nun stand er an der Haustüre und wedelte erwartungsvoll mit dem kurzen Schwanz …
Und ihre magischen Sinne sagten ihr, dass dieser Freund, der sie gerade besuchen kam, für einige Zeit nicht von dieser Welt gewesen war. Manus, dachte sie, legte die Bürste weg, erhob sich von ihrem Platz am Kamin und huschte zur Eingangstür … Was konnte er jetzt nur wollen?
Heftig stieß sie die Tür auf – da sah sie den Wald von Tamhasg im Mondlicht ragen, fahlweißes Licht um knorrige Zweige, Äste, die wie blanke Knochen im sanften Wind klapperten. Und dort auf ihrem Pfad sah sie aus feinem Nebel schemenhaft eine männliche Gestalt erstehen. So verschränkte sie die Arme über der Brust.
»Manus?«, rief sie.
Beim Klang ihrer Stimme nahm er sogleich klarere Konturen an. »Ginny«, erwiderte er und trat ins Licht hervor. »Du siehst gut aus!«
Jetzt schoss Distel voran und begrüßte, auf den Hinterbeinen tanzend, sein ehemaliges Herrchen.
»Und was führt dich in dieser Nacht hierher?«, fragte sie.
Manus kniete zu dem wie toll sich gebärdenden Terrier, fuhr ihm mit der Hand … durch … den Kopf. Aber Distel schien nicht zu bemerken, dass sein alter Herr und Meister ihn nicht mehr richtig streicheln konnte … Nein, er tanzte und sprang nur immer weiter um ihn herum, so froh und glücklich wie ein kleines Kind beim Besuch des geliebten Großvaters. Was aber leider ein Ding der Unmöglichkeit war …
Nun richtete Manus sich seufzend auf. Es war zwei Jahre her, dass er, spät nachts auf der Straße im Moor, von Räuberhand einen allzu frühen Tod erlitten hatte. So eine Vollmondnacht war es gewesen und er so voll vom süßen, schweren Heidebier, dass er sich der Schufte, die über ihn herfielen, nicht hatte erwehren können … und auch Zauberbürtige sind ja sterblich im Fleisch, mögen sie noch so langlebig sein! Zauberbürtige, hatte er Ginny immer gesagt, bleiben im Tode dem treu, was sie zu Lebzeiten tun … Wohl wahr, dachte sie beim Anblick dieses Geists vor ihr, der wie einer wankte und schwankte, der seinem Lieblingsbräu allzu heftig und ausdauernd zugesprochen hatte.
Er war ein schöner Mann gewesen – in der Blüte seines Lebens dahingerafft. Groß und rank stand er nun vor ihr, in etliche Ellen seines rot, grün und grau karierten Plaids gehüllt, das er, nach alter keltoranischer Art, ohne Hosen trug. Und schön flutete ihm das lange, rötliche Haar über die breiten Schultern.
Sie wusste wirklich nicht, was sie zu ihm hingezogen hatte –außer dem Umstand eben, dass sie eine junge Zauberbürtige ohne Lehrerin noch Lehrer gewesen war. Sie war eines Nachts von daheim geflohen, weil ihr Vater sie trotz ihrer Berufung mit einem widerlichen Mann hatte verheiraten wollen, und das nur, um dank ihres Brautpreises seine Herden mit feinen, feisten keltoranischen Rindern zu vergrößern. Manus hatte ihr Obdach gewährt, ohne aber je ihre Lage auszunutzen … Er hatte sein Haus und Distels Gesellschaft mit ihr geteilt, hatte ihr die Bedeutung der in ihr wachsenden Kraft erklärt.
Aber er hatte, wie mancher Mann, diesen Hang zum Heidebier, den sie nicht ausstehen konnte. Diese Art Geister, hatte sie ihm prophezeit, wäre einmal sein Tod … Und diese Vorhersage hatte sich auch leider bewahrheitet.
»Was führt dich hierher?«, wiederholte sie sich. »Du besuchst mich doch sonst nie bei Vollmond … Da wanderst du gemeinhin durchs Moor und suchst deine Mörder!«
»Jawohl, Kleines«, erwiderte er und grinste. »Und das werde ich auch weiter tun, bis ich meine Rache bekommen habe, es sei denn …«
»Es sei denn?«, hakte sie nach. Sie glaubte, einen Anflug von Zögern in seinem Blick auszumachen – aber er war ja manchmal geheimnistuerisch gewesen, hatte ihr nie recht gesagt, warum er in mondhellen Nächten zum Zechen ins Moor hinausging.
»Also, Kleines, sieh mal … Ich bin wirklich nur gekommen, um dich zu warnen!«
»Mich zu warnen? Wovor?«
»Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass du besser die Tür verschlossen und den kleinen Distel im Haus behältst!«
»Oh, warum das?«, fragte sie und suchte mit Magiersinnen das Ungewisse ab. Die Einheimischen dachten, im Wald von Tamhasg spuke es. Sie aber hatte bisher nur einen Geist hier gesehen – den von Manus … Doch in dieser Gegend hauste mancherlei anderes Volk: Kobolde und Unselige, die von Zeit zu Zeit um ihr Häuschen huschten, sodass sie sich wiederholt gezwungen gesehen hatte, ihre Abwehrzauber zu verstärken. Die meisten dieser Wesen waren harmlos, doch selbst die sanftesten unter ihnen konnten, wie Ginny seit langem wusste, recht gefährlich werden, wenn man sie neckte oder reizte.
»Heute Nacht zieht ein Schwarzer Jäger durchs Moor«, sagte Manus jetzt.
»Ein Schwarzer Jäger?«, rief sie und warf ihm einen strengen Blick zu. »Was hattest du vor?«
»Nur, was ein Geist so kann«, erwiderte er grinsend.
»Ich meine es ernst, Manus, was hast du getan?«
»Oh, das war vor langer Zeit, Kind. Jahre, ehe du, tropfnass und deiner selbst und deiner Macht so ungewiss, an meine Tür geklopft und um Obdach gebeten hast.«
»Und was geschah damals?«
»Ich war eines Nachts im Moor unterwegs, und da ist es mir begegnet.«
»Es?«, staunte sie und fixierte ihn mit ihrem allerschärfsten Blick.
»Der Schwarze Jäger«, erwiderte er.
Sie wusste, was Schwarze Jäger waren. Manche hielten sie für seelenlose Menschen, andere aber für die Geister derer, die zu Lebzeiten Böses getan hatten. Ganz sicher aber waren sie Arawns Diener und mussten in finsteren Nächten ausreiten und Seelen für seinen Großen Kessel suchen – Seelen, die in der Letzten Schlacht zwischen Dunkel und Licht als seine Krieger für ihn kämpften.
»Weswegen hast du dir seinen Zorn zugezogen?«, hakte sie nach.
»Wegen einer Kleinigkeit«, versetzte er. »Es war eine unselige Nacht. Und das Heidebier war besonders süß. Und ich noch so voll des Schmerzes dessen, der das verlor, was er am meisten geliebt hat! Aber könnten wir nicht hinein ans Feuer, Kind? Das ist keine kurze Geschichte, die ich da mitzuteilen habe, und der Wind ist bitter kalt!«
»Den spürst du doch gar nicht!«, entgegnete sie und runzelte die Stirn.
»Nein, aber der arme Distel zittert doch vor Kälte!«
Ginny verdrehte die Augen. Der Gedanke, einen Geist ins Haus zu lassen, behagte ihr wenig, mochte er auch einst hier zu Hause gewesen sein. Denn wenn sie ihm erst erlaubte, die magischen Linien zu übertreten, die sie zu ihrem Schutz gegen Unheil und Ungemach gezogen hatte, könnte sie ihn nie mehr fern halten. Aber … es hatte auch Zeiten gegeben, da sie selbst bei ihm Schutz und Obdach gesucht hatte, und da hatte er sie nicht von der Tür gewiesen.
»Gut denn«, sagte sie also. »Aber glaub nicht, dass du von jetzt an kommen und gehen kannst, wie es dir beliebt!«
»Traust du mir das zu?«, protestierte er und hob ironisch die Braue, während sie schon kehrtmachte und voranging.
Und wie sie so seine magische Essenz spürte, als er sich der Schwelle näherte und davor stehen blieb, drehte sie sich zur Tür, schwenkte einladend die Hand und sprach: »Tritt ein, und sei willkommen, Manus Mac Greeley!«
Sichtlich erleichtert, trat der Geist über ihre Schwelle und ließ sich, während sie den Riegel vorschob, am Kamin schwer zu Boden sinken. Distel kam zu seinem früheren Herrchen gehüpft und sprang vor lauter Betteln um seine Zärtlichkeiten wieder und wieder durch ihn hindurch.
»Du hast ihn anscheinend vernachlässigt, Kleines«, sagte Manus, wohl enttäuscht darüber, dass er diese Liebesbezeigungen des Terriers nicht erwidern konnte.
»Nicht mehr … als er mich«, versicherte sie und begab sich zu ihrem Lieblingssessel. »Er ist dir ja recht ähnlich, wenn es ums Moor geht …« Damit nahm sie Platz und musterte ihren Lehrer und Meister, der nun am Kamin kaum mehr als ein Dunst oder Nebel schien.
»Du wirst schon blasser«, sagte sie.
»Das ist der Feuerschein«, erwiderte er.
»So, erzählst du mir jetzt, was geschah?«, fragte sie. »Oder sollen wir weiter Höflichkeiten austauschen, bis der Morgen dich zum Aufbruch zwingt?«
»Du warst nie ein geduldiges Mädchen!«
»Das kommt vom Umgang mit dir!«
Manus zog ein finsteres Gesicht und starrte ins Feuer. »Ja«, seufzte er, »du hast Recht. Ich wünschte nur, ich hätte etwas von deinem gesunden Menschenverstand … Das war also vor langer Zeit, aber ich erinnere mich noch ganz genau daran. Siehst du, da war meine Frau gestorben …«
»Du hast mir nie gesagt, dass du verheiratet warst«, fiel sie ihm ins Wort … und schämte sich doch über den Unterton von Eifersucht in ihrer Stimme.
»Nur deshalb, weil du erst ein süßes Ding von sechs Lenzen warst, als sie starb!«, sagte er, schon wieder lächelnd.
»An einer Krankheit?«
»Am Alter«, sagte er. »Das Unglück unseres Geschlechtes ist, dass wir jung bleiben und die überleben, die wir lieben. Doch das ist jetzt nicht das Thema. Meine Maria war mir eine gute Frau, und sie ist friedlich im Schlaf hinübergegangen, und so habe ich sie, in zwei Ellen meines Plaids, bei Vollmond dort draußen im Moor begraben. Ja, ich hab ihr sogar ein Steinmal errichtet, sodass ich sie von Zeit zu Zeit besuchen konnte.«
»Die Frau von Tamhasg?«, hauchte Ginny. »Zu ihr bist du also immer gegangen!
»Allerdings«, erwiderte er. »So waren zehn Jahre vergangen, ohne dass ich ihren Todestag auch nur einmal vergessen hätte. In so einer Nacht ist mir der Schwarze Jäger begegnet … Er kam auf einer kohlschwarz verhüllten Knochenmähre übers Moor geritten. Ihre Hufe streiften kaum das Heidekraut … und es war doch eine Hufgedonner wie von tausend Rossen.«
Da runzelte Ginny die Stirn – so poetisch langatmige Geister konnte sie nicht leiden. »Er traf dich am Steinmal?«, fragte sie und hoffte, dass er mit seiner Geschichte zu Ende käme – ehe das Krähen des Hahns ihn zu Aufbruch und Flucht zwänge.
Er stützte das Kinn in die Hände, die Ellbogen auf die Knie gedrückt, und sagte: »Also, ich war am Grabmal und ertränkte meinen Schmerz, als er daherkam, auf der Suche nach sterblichen Seelen, zur Besänftigung seines Herrn! Der Anblick seines grimmigen Gesichts, der glühenden Augen ließ mir die Knie unterm Kilt zittern, aber das Bier, das meinen Schmerz gestillt hatte, das verlieh meiner Zunge darauf mehr Schneid, als für mich gut war …«
»Aber nicht den dazugehörigen Grips!«, sagte Ginny und kniff die Augen zusammen.
»Ich forderte diesen Kerl heraus«, fuhr Manus fort, als hätte er ihren Einwurf nicht gehört. »Und ich beschwor einen Ring aus weißem Zauberfeuer, fing ihn darin, ehe er fliehen konnte. Leider war nur ich außerhalb des Feuerrings in Sicherheit, nicht aber das Grabmal meiner geliebten Maria. Also drohte er mir aus Zorn über seine Gefangenschaft, es durch seine Mähre vor meinen Augen niederreißen zu lassen. Ich war schon außer mir vor Angst, dass der herzlose Schwarze seine grausame Drohung wahr machte, als mir einfiel, dass alle von seiner Art doch eine Schwäche haben … so wie ich eine fürs Heidebier …«
Ginny schloss die Augen. »Du hast nicht etwa …«
»Aber ja!«, rief Manus und reckte sich. »Ich bat ihn, Marias Grabmal zu verschonen, bot ihm dafür meine Seele, die, wie jeder weiß, als die eines Zauberbürtigen von unschätzbarem Wert ist. Ja, ich schwor, wenn er das Mal verschone und mir noch sieben Jahre gäbe, meine Angelegenheiten zu regeln, mit Freuden sodann meine Seele für Arawns Kessel hinzugeben.«
Ginny seufzte. Sieben Jahre. Diese Art Pakt war so alt wie die Märchen, die Großmütter ihren Enkeln erzählten … So alt wie die Alten Einen, von denen angeblich alle Zauberbürtigen abstammten. »So, du bist seit zwei Jahren tot, und ich wohne seit fünfen hier …«
»Ja, diesen dummen Handel schloss ich zwei Jahre vor deinem Auftauchen ab …«, sagte er.
»Dann ist es diese Nacht?«
»Ja! Marias Todestag vor sieben Jahren … und sieben Jahre seit der Nacht, da ich, so vom Heidekrautbier benebelt, dem Schwarzen Jäger begegnet bin.«
»Wann wird er kommen, um dich zu holen?«, fragte sie und nahm Distel, der das Gespringe durch den Geist des Zauberbürtigen satt hatte und jetzt um ihre Aufmerksamkeit bettelte, in die Arme, und da beruhigte er sich nach kurzem Sträuben und machte es sich bald, schwanzwedelnd und schnaufend, bequem.
»Die Mitternachtsstunde ist seine Zeit«, sagte Manus nun und erhob sich vom Boden. »Was bedeutet, dass ich mich am besten auf den Weg mache!«
»Was?«, rief sie und sprang, den Moorterrier in ihren Armen, vom Sessel auf.
»Ich will dich nicht unnötig einer Gefahr aussetzen, Kleines«, erwiderte er. »Das schulde ich dir allein für deine Liebenswürdigkeit, meinen Worten zu lauschen.«
»Du meinst … du willst einfach aufgeben?«
»Mir bleibt keine andere Wahl«, flüsterte er. »Du weißt, ein toter Zauberbürtiger besitzt keine Macht mehr, da er keinen fleischlichen Leib zur Kanalisierung seiner Zauberkräfte mehr hat. Und eine lebende Zauberbürtige, die ja noch längst nicht so viele Jahre gelebt hat wie ihr Meister, soll sich doch nicht einbilden, sie könnte diese Kreatur bezwingen und besiegen.«
»Und warum nicht?«, fragte Ginny. »Ich kenne doch diese alten Geschichten ebenso gut wie du. Der Schwarze Jäger erträgt das Tageslicht so wenig wie dein Weißes Zauberfeuer. Also muss er jedes Werk, das er beginnt, vor Tagesanbruch vollenden, soll der Pakt nicht hinfällig werden. Und wie alle Unseligen hat auch er eine Abneigung gegen kaltes Eisen und kalten Stahl.«
»Du hast doch kein Schwert!«
»Aber ein Hufeisen über der Tür, eiserne Angeln und Riegel an den Fenstern. An denen kann er nicht vorbei!«
»Er wird sich ja davon nicht die Seele eines Zauberbürtigen vorenthalten lassen«, sagte Manus. »Du tust klug daran, mir nicht zu folgen!« Damit strebte er zur Tür. Doch da setzte Ginny rasch den Moorterrier ab, reckte sich, streckte beide Hände aus und zischte in Zaubersprache: »Bei meinem Willen, ich binde dich an diesen Ort!«
Manus stieß einen Wutschrei aus, fuhr, mit erhobenen Fäusten und flammendem Blick, herum und heulte: »Ist dir auch klar, was du da getan hat?«
Distel rettete sich unter den Sessel, als Manus’ Geist jetzt in heller Wut auf Ginny losstürzte. Sie aber wich nicht, nein, er konnte ihr nichts anhaben und konnte ja auch, bei ihrem starken Willen, nicht in sie eindringen, um sie sich gefügig zu machen. Tote Zauberbürtige hatten vielleicht keine Macht mehr, konnten aber aus einem willfährigen Wirt heraus weiter zaubern. Aber die Möglichkeit würde sie ihm nicht geben … mochte sie ihm auch noch so viel verdanken.
»Mein Bann hält dich in diesem Haus fest«, rief sie und kreuzte die Arme über der Brust. »Es macht mir keine Freude … aber du wirst diesen Ort erst verlassen, wenn ich es dir erlaube. Was bedeutet, dass der Schwarze Jäger jetzt mit mir verhandeln muss, wenn er deine Seele haben will!«
»Warum?«, hielt er dagegen. »Warum dein Leben so aufs Spiel setzen?«
Ginny zögerte mit einer Antwort – war es nicht, in der Tat, töricht von ihr? »Weil du mich nicht abgewiesen hast, da ich Hilfe brauchte …«, erwiderte sie endlich. »Ja, du hast mich bei dir aufgenommen, mir ein Zuhause gegeben. Dafür bin ich dir dankbar, auch wenn ich es immer wieder bereute, mich an dich gebunden zu haben, vor allem, als ich merkte, dass du ja kein Haus anständig führen kannst.«
Da verging ihm seine Wut so jäh, wie sie gekommen war. Die hellen Flammen in seinen Augen erloschen, und er wandte sich ab und sagte: »Du kannst den Schwarzen Jäger doch auf keinen Fall besiegen!«
»Oh, das weiß man erst, wenn man es versucht hat«, erwiderte sie.
»Aber was könntest du ihm denn für meine Seele anbieten?«
»Lass das nur meine Sorge sein …«, sagte sie, fasste Distel, der sich wieder aus seinem Versteck hervorgewagt hatte und zu ihr gekrochen kam und vorsichtig mit dem Schwanz wedelte, kurz ins Auge und beugte sich zu ihm, rieb ihm beruhigend den Kopf und schloss lächelnd: »Ich denke, ich habe da eine Idee!«
Die nächsten Stunden nutzte sie dazu, ihre Schutzzauber mit der Hitze des Weißen Zauberfeuers und der Kälte des kalten Eisens zu stärken. Manus sah ihr vom Kamin aus zu und lobte hin und wieder, wie sehr doch ihr Können in den zwei Jahren gewachsen war. »Deine alten Bücher haben mir viel geholfen«, erwiderte sie. »Und auch, dass ich mich besser konzentrieren konnte, weil du nicht mehr wie so eine Glucke um mich herum warst.«
Da machte er ein Gesicht, als er das hörte …
So rückte die Mitternachtsstunde näher und näher. Ginny fühlte sie schon, brachte sie doch einen dicken Dunst alter Magien mit sich, die all ihre Zaubersinne vibrieren ließen. Und je näher sie nun rückte, desto mehr spürte sie Schwaden dunkler Mächte über dem Moor wachsen und wallen. Mächte so schrecklich, dass sie sich eines Schauders tiefsten Bangens nicht erwehren konnte … Was, wenn sie nun dem Schwarzen Jäger nicht wehren konnte?
Höre, Arianrhod, Herrin des Silberrades, betete sie, lass mir den Mut nicht wanken! Und darauf holte sie tief Luft, um das Flattern in ihrem Bauch zu unterdrücken, durchquerte jäh die Stube und riss die Haustür auf.
Finster war es jetzt, der Mond ganz von einer dunklen Wolke bedeckt, und über dem Pfad wallte dicker Nebel … Ginny verharrte genau auf der Schwelle, um hinter ihren Schutzzaubern zu bleiben, und kauerte sich nieder.
»Distel!«, rief sie dann. »Fuchs, Distel! Los! geh! Fang den Fuchs!«
Schon sprang der Terrier auf, schoss mit einem Satz und hellem, freudigem Kläffen in die Nacht hinaus. Und Ginny erhob sich, sah ihm nach, bis er im Nebel verschwand, und lauschte dann noch auf sein wütendes Jagdgebell …
»Verdammt, Kind, warum hast du das getan?«, schimpfte Manus. »Er wird die ganze Nacht herumhetzen und den Räuber suchen!«
»Darauf baue ich ja«, sagte sie und blickte in den Nebel hinaus. Wenn der Fuchs bloß nicht in der Nähe war! Aber es sah ihm ähnlich, diese Nacht wiederzukommen, um sich noch eine ihrer Hennen zu holen … Da spitzte sie die Ohren, stellte sie auf die Laute der Nacht ein, und konnte, wenn auch schwach noch, das Klappern knöcherner Hufe hören. »Er kommt! Bleib, wo du bist, Manus, und verhalte dich bitte mucksmäuschenstill!«
Da murmelte er etwas, was nur Magierohren verstehen konnten. Und sie lächelte und sah angestrengt ins Dunkel hinaus.
Endlich schälte sich die Gestalt eines Reiters auf knochiger Mähre aus dem Nebel … ein schlanker Hüne in nachtschwarzem Plaid, das mit schmalen roten und weißen Streifen durchwirkt war – dem Blut und Bein seiner Opfer, wie manche sagten. Feurige Augen leuchteten aus dem Dunkel der Kapuze, aus dem Kopf wuchs ein gleißendes Geweih. Er ritt eine skelettartige Stute, eine in schwarze Fetzen gehüllte Mähre mit glühenden Augen – und die bäumte sich nun vor der Schwelle auf und wieherte so gespenstisch, dass einem die Haare zu Berge standen. Aber Ginny riss sich zusammen und zuckte und wankte nicht.
»Ich bin gekommen, die Seele von Manus Mac Greeley zu holen«, donnerte der Schwarze Jäger mit schrecklicher Stimme. »Schick ihn mir auf der Stelle heraus!«
»Es tut mir sehr Leid, aber den Gefallen kann ich dir nicht tun«, gab Ginny zur Antwort.
»Was?«, schrie die Kreatur in einem Ton, der das Geschirr in ihrem Küchenschrank klirren ließ.
»Du kannst, beim Eisen und beim Feuer, diese Schwelle nicht überschreiten«, rief Ginny. »Und sein Geist kann, bei meinem Willen, nicht von diesem Ort. Du kannst dich also ebenso gut nach Annwn verziehen … Arawn bekommt heute keine Seele für seinen Großen Kessel!«
»Du dummes Frauenzimmer, du, wie kannst du es wagen!«, heulte der Schwarze Jäger und riss seine Knochenmähre hoch, dass sie mit den Hufen nach Ginny ausschlug. Und sie wich zurück, um den gefährlichen Hufen zu entgehen, die mit so bestürzender Leichtigkeit den eichenen Türrahmen zertrümmerten. »Wenn du ihn nicht gleich herausschickst, reißen ich und meine Stute diese elende Hütte ein und zermalmen deine Knochen zu Staub.«
Und das würde er auch, darauf hätte sie gewettet! Aber, sie hatte anderes im Sinn, so konnte sie es sich nicht anmerken lassen, dass sie die Drohung ernst nahm … »Ich bräuchte nur Weißes Feuer gegen dich zu rufen«, sagte sie. »Aber was hätten wir beide davon? Ich wäre ohne ein Heim und du nur noch Asche. Doch ich wäre schon zu einem Handel bereit, wenn du für die zauberbürtige Seele einen Preis zu zahlen gewillt wärst.«
»Welchen Preis?«
»Mein Angebot lautet also: Bringst du mir, bevor der Hahn zum ersten Mal kräht, meinen Moorterrier zurück, ist Manus’ Seele dein.«
»Ich bin doch kein Hundefänger!«, rief der Schwarze Jäger da empört.
»Was?«, staunte sie. »Ein Wesen, das bei der Wilden Jagd dabei ist, müsste doch so einen kleinen Moorterrier erwischen können! Oder hast du Angst, das könnte deine Kräfte übersteigen?«
»Oh, es gibt nichts, das meine Kraft und Macht überstiege!«, knurrte der Schwarze Kerl und knirschte mit den Zähnen, dass Ginny schon förmlich die Funken fliegen sah. »Ich bringe dir deinen lausigen Köter zurück!«
»Terrier!«, berichtigte sie ihn.
»Und du gibst mir die Seele des Zauberbürtigen!«
»Nur, wenn du mir, beim Kessel Arawns, schwörst, mir meinen Hund vor dem ersten Hahnenschrei zu bringen …«, sprach sie. »Sonst ist unser Handel null und nichtig, dein Anspruch auf Manus’ Seele verwirkt.«
»Ich schwöre bei Arawns Kessel, dass du deinen lausigen Köter vor dem ersten Hahnenschrei zurück hast!«, rief der Schwarze Jäger.
Und damit riss er, immer noch knurrend, seine knöcherne Mähre herum und trieb sie zur Hetzjagd durch den Wald von Tamhasg, dass der Donner ihrer Hufe durch die Nacht hallte. Und Ginny hielt sich die Ohren zu, bis der Lärm verebbte.
»Was hast du getan?«, stöhnte Manus da.
»Nur dem Schwarzen Jäger ein Angebot gemacht!«, sagte sie.
»Aber was ist, wenn er den armen Distel fängt?«
»Da müsste er ja noch schlauer sein als der gefräßige Fuchs«, spottete sie, ging zum Kamin und setzte sich, um so, den Blick auf die offene Tür gerichtet, die ganze lange Nacht zu warten, derweil der Geist von Manus auf und ab schritt. Und im Verlauf dieser Stunden hörte sie wieder und wieder dieses erregte Gejaule des Terriers, das ihr verriet, dass er eine neue Fährte aufgenommen hatte, und hörte auch mehr als nur einmal eine Reihe von Flüchen aus dem Moor … jenseits des Waldes.
Aber endlich lehnte sie sich in ihren Sessel zurück, schloss die Augen und sank in friedlichen Schlaf. Doch nicht lange, da ließ ein jäher Schrei sie hochschrecken …
»Ginny, er kommt!«, hörte sie Manus rufen.
Da war sie mit einem Schlag wieder hellwach und starrte zur Tür hinaus. Am östlichen Himmel erschien bereits ein rosiger Schein – und davor hob sich eine hohe Gestalt in zerfetztem Plaid ab: Wirklich, der Schwarze Jäger kehrte zurück – aber er kam zu Fuß und gefolgt von seiner knochigen Stute, die so erschöpft und so geschunden wie eine lebendige Mähre hinter ihrem Herrn herhinkte … Aber mit verächtlich ausgestreckten Armen trug er ein zappelndes Bündel vor sich her.
Distel! Er hatte den Moorterrier erwischt!
Ginny sprang auf und stürzte zur Tür, lehnte sich gegen den Türrahmen. Ihr magisches Auge verriet ihr dann, dass Distels Fell, aber auch das Plaid des Schwarzen Jägers, ein einziger Filz aus Kletten und Heideblüten war.
»Hat der Hahn bereits gekräht?«, fragte sie ängstlich und sah Manus an. Der schüttelte langsam den Kopf. Heiligste Herrin des Silberrades, was soll ich nur tun?
Da huschte, wie als Antwort auf ihr Flehen, so ein leuchtend rotes Etwas über den Pfad. Der Fuchs! Genau der, auf den sie am Abend zuvor den Moorterrier angesetzt hatte, war wieder zu ihrem Hühnerhaus unterwegs.
»Distel! Der Fuchs!«, schrie sie.
Da, ein wildes Gegacker und Geflatter – der Fuchs war in den Stall eingebrochen! Und Distel japste und jaulte, zappelte wie toll, um sich den Händen des Schwarzen zu entwinden. Da half alles Mühen des Unseligen nicht, der Terrier mit seiner Zähigkeit obsiegte. Mit einem kräftigen Ruck riss er sich los – und dann jagte er hinter dem Fuchs her, der, mit einer der Hennen im Maul, schon wieder das Weite suchte.
Aufheulend vor Zorn stürzte der Schwarze hinter dem Terrier her, einem Raubvogel gleich stieß er herab, sauste er … Und landete doch nur inmitten dieser gackernden, in heller Panik auseinander spritzenden Hühnerschar. Aber als er sich, noch knurrend und fauchend, auf die Knie hochrappelte …
… hob der von all der Unruhe in seinem Hof irritierte alte Hahn zu krähen an.
»Nein!«, heulte der Schwarze und fuhr herum.
Ginny jedoch trat über die Schwelle, legte eine Hand auf die Hüfte und beschwor in die andere ein Weißes Feuer. »Du hast deinen Teil unserer Vereinbarung nicht erfüllt, Schwarzer Jäger«, sprach sie. »Und so deinen Anspruch auf diese Seele verwirkt. Vielleicht verschwindest du ja besser … ehe die Sonne noch höher steigt.«
Mit einem Wutschrei sprang der Schwarze Jäger auf und stürzte seiner Stute nach, dein elenden Gerippe dort, das kehrt gemacht hatte, auf der Flucht zu den letzten Schatten der Nacht war und sich um seinen wütenden Herrn, der ihm nun hinterherhetzte, einen Teufel scherte.
Da drehte Ginny sich zu Manus um, der noch, dicht hinter der Schwelle, im Hause stand. Das Morgenlicht würde ja bald auch seine Essenz verblassen lassen …
»Ja, ich bin beeindruckt«, sagte er. »Und ich bin noch immer dein Gefangener.«
»Bei meinem Willen, Manus Mac Greeley, ich entlasse dich aus diesem Ort«, sagte sie gleich. »Gehe hin, gehabe dich wohl.«
Lächelnd trat er ins Freie und verbeugte sich vor ihr. »Bis zum nächsten Vollmond, Kleines«, sprach er und schwand ihr aus den Augen.
Und sie pfiff und rief nach Distel, ihn zurückzuholen. Denn diesmal, fand sie, hatte der Fuchs sich sein Nachtmahl doch verdient … auch, wenn sie das eine Henne kostete. Außerdem hätte Distel sicher noch öfter Gelegenheit, ihn zu fangen.
Nun kam der Kleine, über und über mit Kletten und Farnkraut bedeckt, auch schon angetrabt. Und Ginny schüttelte den Kopf und kniete sich lächelnd zu ihm.
»Ach, schau dich nur an!«, sagte sie. »Das kostet mich einen Monat, dich wieder zu säubern!«
Der Moorterrier schnaubte bloß und schüttelte den Kopf, dass eine Wolke von Fuchshaar aufstieg und zum Pfad schwebte, und folgte ihr dann zu einem wohl verdienten Schläfchen ins Haus.